3 - Politische Theorie II Herder Teil 1 [ID:13152]
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Liebe Studierende, willkommen zur dritten Sitzung in diesem Semester. Heute und auch in der nächsten

Sitzung wird es gehen um Johann Gottfried Herder. Ich empfehle Ihnen wie immer, besorgen Sie sich,

bevor es losgeht, möglichst bevor es losgeht, die Gliederungsskizzen, die ich für jede einzelne

Sitzung zusammengestellt habe, die haben Sie ja kompakt und besorgen sich zugleich das Zitatenblatt,

da können Sie die Zitate ganz anders wahrnehmen, die sind ja in einer für uns heute etwas

altertümlichen, manchmal auch verdrechselten Sprache gefasst. So, in der letzten Sitzung ging es um

Kant und ich will das nicht wiederholen, ich will nur den einen Punkt noch mal nennen.

Bei Kant war das radikale Bewusstsein von Geschichtigkeit noch nicht eigentlich da.

Zwar interessiert er sich für Geschichte, interessiert sich für Geschichte als hoffnungseröffnende,

handlungsermutigende Zukunftsperspektive, aber die historischen, Entschuldigung,

aber die moralischen Prinzipien, die rechtlichen Prinzipien, die dabei verwirklicht werden sollen,

sind als solche zeitlos gedacht. Insofern, also was diesen Punkt angeht, ist Kant noch nicht ein wirklich

radikal geschichtlich denkender Philosoph, er denkt immer noch in Kategorien zeitloser Wahrheit,

zeitloser Richtigkeit muss natürlich appliziert werden auf eine Welt, die sich verändert.

Der Durchbruch zu diesem radikaleren Bewusstsein von Geschichtigkeit geschieht dann bei Herder

insbesondere. Da ist Herder vermutlich nicht der einzige, aber bei Herder wird es sehr sehr sehr gut deutlich.

Deshalb also jetzt von Kant zu Herder. Also für Herder ist im Unterschied zu Kant auch der eigene Standort nun

unaufheblich geschichtlich. Die Vergangenheit ist nicht mehr zu bemessen an Plausibilitäten der Gegenwart,

die eben nicht zeitlos sind, umgekehrt aber auch die Vergangenheit nicht mehr der Maßstab, an dem man die

Gegenwart möglicherweise als Verfall bemessen könnte. Herder ist insofern wegbereiter von

Historismus, von historischem Relativismus, auch, könnte man sagen, von Kulturrelativismus,

wie man das heute nennen würde. Also er akzeptiert tatsächlich sehr unterschiedliche historische

Stadien, die alle in sich selber sinnvoll sind. Unterschiedliche historische Manifestationen von

Menschsein, von Gesellschaft, unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Sprachen, Unterschiede,

Unterschiede, Unterschiede. Also Herder wird manchmal auch im Rückblick als ein Vorläufer

modernen Multikulturalismus bezeichnet. Das ist natürlich ein Stück weit anachronistisch. Manchmal

wird er auch bezeichnet als Vorläufer des modernen Ethnopluralismus. Das klingt dann sehr anders,

auch das wäre etwas anachronistisch, aber Pluralität von Kulturen, von historischen Stadien,

von Sprachen, all das ist ganz wichtig. Zugleich werden diese pluralen Manifestationen allerdings

in eine Linie gebracht, nämlich in die Geschichte der gesamten Menschheit. Damit ist Herder dann in

gewisser Weise Vorläufer von Hegel, der auch solch eine Menschheitsgeschichte darstellt. Herder

Vorläufer von Hegel in gewisser Weise indirekt auch sogar von Marx. Die Geschichte der Menschheit

entwickelt sich durch historische Stadien hindurch, analog zur Geschichte des Individuums. Das

Individuum hat seine Kindheit, seine Jugendphase, seine Reifephase, alles möglich dazwischen.

Diese Analogie wird von Herder, später auch von Hegel, sogar ganz bewusst aufgegriffen. Die

Analogie der Menschheit zur Geschichte des Individuums. Dennoch bleibt jedes einzelne

Stadion in sich sinnvoll. Bei Herder legt er ganz großen Wert drauf. Anders als Hegel ist er auch

sehr vorsichtig in seinem Denken. Sein Denken hat er, insofern ein Stück weit vergleichbar,

den Charakter eines Denkexperiments, eines Gedankenexperiments, nicht verbunden mit dem

Anspruch eines definitiven Wissens. Es ist keine definitive Erkenntnis des Laufes der Geschichte,

sondern es sind Gedankensplitter, die er formuliert, aber immer im Bewusstsein seiner eigenen

Irrtumsanfälligkeit. Herder entdeckt die historische Relativität, historische Pluralität,

kulturelle Pluralität, zugleich auch die Vielfalt der Sprachen. Das werde ich dann vor allem in

der nächsten Sitzung darlegen. Die Vielfalt der Sprachen, die man lange Zeit nur negativ interpretiert hat,

nämlich Tonbau von Babel, Fluch Gottes, Strafe Gottes für die Hybris, dass die Menschen ein

Tonbauen sich überheben. Deshalb die Verwirrung durch die Vielfalt der Sprachen. Eine ganz negative

Bewertung. Bei Herder dreht sich das um. Vielfalt der Sprachen, genauso wie Vielfalt der Kulturen,

jetzt auf einmal ein Gegenstand von Wertschätzung. Also auch da ist Herder neu und ein letzter Punkt

sehr vorweggenannt. Also auch neu ist er darin, dass er den Menschen als von Natur aus Kulturwesen

begreift. Also da wird er ein Stück weit auch Vorläufer der modernen Kulturanthropologie. Es sind

Teil einer Videoserie :

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:50:39 Min

Aufnahmedatum

2020-04-07

Hochgeladen am

2020-04-10 16:19:58

Sprache

de-DE

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